Was hat Dein Interesse an der Erforschung von Nachhaltigkeit in globalen Wertschöpfungsketten geweckt?

Mein Forschungsinteresse an Nachhaltigkeit in globalen Wertschöpfungsketten begann bereits während meiner früheren Tätigkeit als Juristin. Als Juristin beobachtete ich, dass Anwält*innen und Unternehmenskund*innen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeitsberichte legten, insbesondere auf solche, die von führenden börsennotierten Unternehmen veröffentlicht wurden. Diese Berichte wurden als Instrumente für die öffentliche Kommunikation und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften immer wichtiger. Ich habe jedoch angefangen zu hinterfragen, ob diese Dokumente wirklich die Nachhaltigkeitspraktiken eines Unternehmens widerspiegeln oder lediglich als beschönigte Narrative dienen, die nichts mit der Realität vor Ort zu tun haben.

Diese Skepsis vertiefte sich während meiner anschließenden Tätigkeit als Rechtsmanagerin in Afrika. Dort erlebte ich hautnah, welche enormen Unterschiede in den Nachhaltigkeitspraktiken ein in verschiedenen Entwicklungsregionen gibt. Die Herausforderungen, denen lokale Unternehmen bei der Umsetzung nachhaltiger Praktiken gegenüberstanden, unterschieden sich stark von denen, die ich in Peking kennengelernt hatte. Dieser Kontrast machte deutlich, dass globale Nachhaltigkeitsstandards die regionalen Kontexte und praktischen Zwänge oft nicht berücksichtigen.

Diese Erfahrungen motivierten mich, zu untersuchen, wie Nachhaltigkeit entlang der globalen Wertschöpfungskette interpretiert, umgesetzt und berichtet wird – insbesondere, wie rechtliche Rahmenbedingungen, Corporate Governance und sozioökonomische Faktoren die Nachhaltigkeitspraktiken in Industrie- und Entwicklungsländern beeinflussen.

Die Fragen, die sich in der Praxis stellten, weckten mein starkes Interesse daran, die zugrunde liegenden Mechanismen zur Regulierung nicht nachhaltiger Entwicklung in globalen Wertschöpfungsketten zu verstehen. Die Menschen sollten anfangen zu handeln, nicht nur reden! Meine Forschung zielt darauf ab, die Lücke zwischen Nachhaltigkeitstheorie und praktischer Anwendung zu schließen und sicherzustellen, dass globale Standards nicht nur ambitioniert, sondern auch in unterschiedlichen Kontexten erreichbar und sinnvoll sind.

Was ist der Schwerpunkt Deiner aktuellen Forschung und welche Auswirkungen erhoffst Du Dir davon?

Meine aktuelle Forschung konzentriert sich auf Nachhaltigkeitsaktivitäten und Managementinnovationen innerhalb der globalen Lieferkette für kritische Mineralien. Kritische Mineralien – wie die 3TG (Zinn, Wolfram, Tantal, eng. tin, tungsten, tantalum, und Gold), Kobalt und andere – sind für die grüne Wirtschaft, den technologischen Fortschritt und die Zukunft des nachhaltigen Verkehrs unverzichtbar. Allerdings hat jede wichtige Phase ihres Lebenszyklus – von der Gewinnung über die Veredelung bis hin zur Wiederaufbereitung und zum Recycling – erhebliche und dauerhafte Auswirkungen auf die Umwelt und die lokalen Gemeinschaften.

Was diesen Bereich besonders interessant macht, ist die Komplexität und Undurchsichtigkeit der globalen Lieferkette für kritische Mineralien. Es handelt sich um ein stark fragmentiertes, geografisch verstreutes und voneinander abhängiges System. Diese Undurchsichtigkeit verschleiert oft die sozialen und ökologischen Folgen für unterentwickelte Regionen, in denen Bergbauaktivitäten zu schwerwiegender Umweltzerstörung, Ausbeutung der lokalen Arbeitskräfte und Marginalisierung indigener Gemeinschaften führen können.

Um diese drängenden Probleme anzugehen, untersuche ich in meiner Forschung, wie verschiedene Rechtsrahmen – insbesondere in der EU und in China – ihre Lieferketten regulieren und Nachhaltigkeitspraktiken auf verschiedenen Ebenen beeinflussen. Ich gehe dabei mehreren zentralen Fragen nach: Wie stellen diese Rechtsordnungen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten sicher? Welche innovativen Praktiken haben sich unter den Akteuren der globalen Lieferkette zur Förderung der Nachhaltigkeit herausgebildet? Welche Rolle spielen Rohstoffhändler bei der Gestaltung der Transparenz und Rechenschaftspflicht in der Lieferkette? Und wie passen Unternehmen ihre Strategien an die wachsenden geopolitischen Unsicherheiten und Investitionsrisiken an?

Mit dieser Forschung möchte ich unser Verständnis für die vielfältigen Ansätze des Nachhaltigkeitsmanagements in globalen Wertschöpfungsketten vertiefen. Außerdem hoffe ich, wertvolle empirische Erkenntnisse und politikrelevante Analysen beizusteuern, die sowohl in die Unternehmensführung als auch in die internationale Regulierungsentwicklung einfließen können. Letztendlich ist es mein Ziel, die Schaffung gerechterer, widerstandsfähigerer und transparenterer Lieferketten zu unterstützen, die sowohl den ökologischen Erfordernissen als auch den Bedürfnissen der betroffenen Gemeinschaften gerecht werden.

Was sind Deiner Meinung nach die größten Wissenslücken in nachhaltigen globalen Wertschöpfungsketten?

Meiner Meinung nach besteht die größte Wissenslücke in nachhaltigen globalen Wertschöpfungsketten darin, die globalen Auswirkungen von Lieferkettenaktivitäten vollständig zu verstehen – insbesondere die sozialen Folgen in abgelegenen und weniger sichtbaren Regionen. Während Unternehmen oft ihre eigenen ESG-Praktiken hervorheben, übersehen sie häufig die Bedingungen in vorgelagerten Bereichen, wie beispielsweise die Ausbeutung von Arbeitskräften oder die Vertreibung von Gemeinschaften in weit entfernten Beschaffungsregionen. Diese mangelnde Transparenz erschwert die Bewertung der Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrichtlinien auf lokale Gemeinschaften und kann zur falschen Anwendung von Einheitslösungen führen.

Wie hoffst Du, mit anderen in diesem Forschungsnetzwerk zusammenzuarbeiten?

In meiner empirischen Forschung zur Lieferkette kritischer Mineralien hoffe ich auf eine enge Zusammenarbeit mit europäischen Abnehmerunternehmen sowie chinesischen Lieferanten und Zwischenhändlern. Durch den direkten Kontakt mit diesen Akteuren der Branche werde ich besser verstehen, wie Nachhaltigkeitspraktiken vor Ort umgesetzt werden und wie unterschiedliche regulatorische und marktwirtschaftliche Zwänge das Verhalten von Unternehmen entlang der globalen Wertschöpfungsketten beeinflussen. Innerhalb des Forschungsnetzwerks freue ich mich darauf, unter der Leitung des Lehrstuhls zu arbeiten und mit anderen Postdoktorand*innen zusammenzuarbeiten. Ich bin sehr motiviert, zu diesem gemeinsamen Projekt beizutragen, indem ich Erkenntnisse aus meiner Feldforschung einbringe und vergleichende Studien durchführe, die Nachhaltigkeitsgovernance aus verschiedenen institutionellen und interorganisationalen Perspektiven untersuchen. Ich bin überzeugt, dass diese Zusammenarbeit sowohl meine Doktorarbeit als auch die übergeordneten Ziele des Netzwerks bereichern wird.

Profil

Jia Zuo ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Bereich des nachhaltigen Lieferkettenmanagements, der gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility) und der Nachhaltigkeitsgovernance. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem mit dem Nachhaltigkeitsmanagement entlang der gesamten Lieferkette, vor allem im Bereich kritischer Mineralien.

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